Von Glückskrämpfen und Meditationsmärschen
Manchmal entsteht Neues aus der ungewohnten Kombination von bereits Bekanntem. So entstand aus Dieselmotor und Droschke ein fortan als Automobil bezeichnetes Vehikel. Aus der Serienfotografie entwickelte sich mithilfe des durch eine Malteserschaltung ermöglichten schrittweisen Filmtransports das bewegte Bild, die Kinematographie. Und die Kombination von so einfachen Zutaten wie Toastbrot, Ananas und Scheibenkäse erfreute sich lange als "Toast Hawaii" großer Beliebtheit in Zeiten zunehmender Beleibtheit nach Jahren der Entbehrung.
Auch heute noch lohnt sich manchmal der Versuch, durch Rückgriff auf Altbekanntes zu Neuem zu gelangen. So entstehen etwa aus einer gewissen körperlichen Betätigung von Angehörigen verschiedenen Geschlechts neue Kombinationen von Erbanlagen. (Diese Tatsache selbst aber ist altbekannt und beileibe nichts Neues).
Aber nicht alle Kombinationen bringen die Menschheit weiter. So war es keine gute Idee, einer mit heißer Luft betriebenen Montgolfiere durch einen aufgesetzten Gasballon zusätzlichen Auftrieb verschaffen zu wollen. Denn das Experiment ging schief, endete tödlich und bot dem Erfinder somit keine Gelegenheit mehr, aus seinem Fehler zu lernen.
Zuweilen aber bietet sich diese Möglichkeit und dann darf man sich nicht entmutigen lassen. Thomas Alva Edison soll 9000 Fehlversuche gehabt haben, ehe die von ihm erfundene Glühbirne so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hatte.
Friedemann Pirlwanger hatte nach dem Tod seines Großvaters nichts anderes auf dem verstaubten Dachboden gefunden, als einige Bronze-Büsten von ruhmreichen Generälen und Feldherrn der Kaiserzeit. Als er seiner Nachbarin von seinen erfolglosen Versuchen erzählte, diese loszuwerden und zu Geld zu machen, schlug sie - sehr der Esoterik und Meditation zugetan - vor, diese einschmelzen und daraus Klangschalen anfertigen zu lassen.
Ihr Mann, ein Musiktherapeut, habe zudem vor, Militärmärsche extrem zu verlangsamen, dies mit Klangschalen zu vertonen und so zur Meditation zu nutzen. So würde man aus Elementen des Militarismus und der Esoterik etwas Neues zum Wohle der Menschheit erschaffen, so etwas Ähnliches wie eine reale Version 2.0 von Schwerter zu Pflugscharen. Die Ergebnisse ihrer Bemühungen würden ihr Mann und sie als "Meditationsmärsche" bezeichnen und damit nicht nur in der antimilitaristischen Esoterik-Szene Furore, sondern auch die Welt ein bisschen besser machen.
Gleichzeitig war sie als pharmazeutisch-technische Assistentin mit abgebrochenem Psychologiestudium an der Entwicklung neuer bewusstseinserweiternder Stoffe interessiert. Sie hatte erfahren, dass ein Biochemiker aus Uruguay eine Art Glücksserum entwickelt hatte, indem zwei bereits seit Jahrzenten bekannte psychogene Substanzen im Grunde unabsichtlich miteinander in Wechselwirkung geraten waren. Der Vorteil des so entstandenen Serums lag darin, dass man auch bei hoher Dosierung und Einnahme über einen langen Zeitraum nicht abhängig davon wurde. Ein wesentlicher Nachteil bestand hingegen in der verheerenden Außenwirkung, da der äußere Eindruck mit dem inneren Erleben alles andere als überzeugend korrespondierte. Freiwillige Probanden einer Studie mit dem Serum berichteten von überwältigenden Glücksgefühlen nach der Einnahme. Und tatsächlich hatten sie, während das Mittel wirkte, einen beneidenswert selig-entrückten Gesichtsausdruck. Außenstehende Beobachter nahmen aber vor allem wahr, dass die Studienteilnehmer sich in der Wirkzeit geradezu Mitleid erregend krampfartig am Boden wanden. Dabei war dieses Mitleid gänzlich unangebracht. Mitleiden kann man ja nur mit jemandem, der leidet. Genau das aber taten die Probanden eben nicht. Der Entdecker nannte diese bei Umstehenden Entsetzen auslösenden Spasmen daher passenderweise "Glückskrämpfe", was aber der Attraktivität und damit den Absatzchancen der neuen Droge nicht wirklich förderlich war. Ferner verbreitete sich der Irrglaube, dass jeder, der sich in einem Krampfanfall am Boden wälzt, dabei immer gerade den glücklichsten Moment seines Lebens erlebt.
Da schien die Sache mit den Meditationsmärschen schon aussichtsreicher zu sein. Niemand weiß, was daraus geworden ist. Die Nachbarin und ihr Mann zogen später um und Jahre danach hieß es gerüchteweise, sie seien schließlich beide in eine psychatrische Landesklinik eingeliefert worden. Ja, so ist das. Nicht aus jeder neuen Verbindung geht etwas Positives hervor.