Je oller, je doller


Udo Lindenberg hat schon recht mit der Zeile aus seinem Song "Plan B": "Den Planeten kaum betreten, da fingen sie schon an, an mir rumzukneten ..."

Ja, genauso ist das. Schon früh wirst du darauf getrimmt, fremden Erwartungen zu entsprechen, dich nach dem Urteil anderer zu richten, zu gehorchen und dich zu fügen, unterzuordnen und anzupassen. Cat Stevens singt in seinem Lied "Father and Son": "Kaum dass ich reden konnte, forderten sie mich auf zuzuhören."

Dagegen beschreibt der Satz "Je oller, je doller" den erfolgreichen Prozess, sich mit zunehmendem Alter darüber bewusst zu werden, sich davon frei zu machen und erstmalig oder endlich wieder zu spüren, wer man selbst ist und was man will oder nicht.

Es gibt einen Mann, der ungewöhnliche Todesanzeigen sammelt. Eine davon enthält den Satz "Die Kartoffel war sein Leben". Er galt einem Mann, der alles über Kartoffeln wusste und zeitlebens in der Beschäftigung allein mit diesem Thema aufgegangen war. Erst dachte ich "Wie lächerlich, bedauernswert einfältig und armselig!" Heute denke ich "Recht so! Wenn das sein Ding war, ihn begeisterte und ausfüllte, warum nicht?" Wenn es für jemanden das größte Glück bedeutet, Papierflieger zu falten, Bergziegen zu zählen oder Staubsauger zu sammeln, dann soll er es doch tun. Wer dürfte darüber urteilen und wer sollte sich umgekehrt an dem Urteil derer stören, die abfällig über ihn denken? Eine Kollegin meinte mal über eine andere, die - zugegeben - manchmal vielleicht einen etwas wunderlichen Eindruck machte, diese lebe in ihrer eigenen Welt. Tun wir das nicht alle, jede/r Einzelne von uns? Sicherlich gibt es Dinge, Fakten und Umstände, mit denen wir alle gleichermaßen konfrontiert sind, aber wie das jede/r wahrnimmt und damit umgeht, ist schon eine individuelle, subjektive Angelegenheit. Jede/r entscheidet für sich selbst, was er oder sie für richtig, wichtig oder wünschenswert hält und wundert oder ärgert sich über diejenigen, die diese Einstellungen nicht teilen oder ihnen sogar unverschämterweise und u.U. vehement widersprechen.

Sein eigener Chef zu sein, in seinem eigenen Leben Regie zu führen, wird einem als Schüler, Auszubildender, Arbeitnehmer oder Staatsbürger gerne abtrainiert und ausgetrieben, übrigens auch in einer freiheitlichen Demokratie.

Seid "doll", bevor ihr alt seid! Und hört nie damit auf!