Hilfsbereitschaft



Es gibt immer wieder Berichte über gewalttätige Übergriffe bis hin zu Messerattacken und Vergewaltigungen an öffentlichen Plätzen, zum Beispiel auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Erschreckend sind dabei nicht allein die unprovozierten, rücksichtslosen und brutalen Gewaltakte selbst, sondern häufig auch die Gleichgültigkeit und Untätigkeit der Umstehenden. Oft genug mag dahinter die Sorge stehen, in einen Konflikt hineingezogen zu werden und dann selbst auch keinen Beistand zu finden. Manche/r mag aber auch denken, das ginge sie oder ihn nichts an und könne ihr oder ihm egal sein. Aber für viele Menschen gilt die Bereitschaft zu helfen als selbstverständlich und eben nicht die soziale Kälte, das Wegschauen und das demonstrative Desinteresse. Zu helfen ist eine moralische Pflicht, unterlassene Hilfeleistung dagegen nicht ohne Grund ein Straftatbestand.

Ähnlich geteilt ist offensichtlich auch die Meinung der Leute hinsichtlich des Beistandes für Staaten, die unprovoziert von einem Nachbarstaat angegriffen werden, wie im Fall der Ukraine, die von Russland überfallen wurde. Auch in diesem Fall gibt es den Standpunkt "Was habe ich damit zu tun?", "Was geht das mich an?" "Warum sollte ich mich da einmischen?" Den Notleidenden Schulter zuckend seinem Widersacher und seinem Schicksal zu überlassen und Ersteren ungerührt und tatenlos dem Untergang zu weihen, finden nicht Wenige offenbar durchaus vollkommen in Ordnung. Wenn es nach ihnen ginge, würden sich dann auch Verteidigungsbündnisse und Beistandspakte erübrigen, immer mit dem warnenden Hinweis verbunden, ein Konflikt könne sich im Falle eines Falles dadurch unkontrolliert ausweiten. Mit dem gleichen Recht könnte man aber auch warnen, ausbleibender Beistand ermutige jeden Angreifer, nicht beim ersten Opfer Halt zu machen. Außerdem: Jede und jeder ist im Notfall für Hilfe dankbar. Mit welchem Recht will man von anderen erwarten, was man selbst nicht zu leisten bereit ist? Ruft nicht jeder und jede im Notfall mit allergrößter Selbstverständlichkeit nach staatlicher oder behördlicher Unterstützung, Verbraucherschutz, Pannenhlfe, Versicherung, Krankenwagen, Feuerwehr oder Polizei?

Erst kürzlich hörte ich den Vorschlag, den Flüchlingszustrom durch eine Seeblockade zu stoppen. Da werden Menschen in Not, die bei einer riskanten Überfahrt ihr Leib und Leben und das ihrer Angehörigen aufs Spiel setzen, zu "Wohlstandsflüchtlingen", zu lästigen Schmarotzern und Feinden, die abgewehrt werden müssen. Kann man von jemandem, der so denkt, im Alltag Hilfe erwarten? Oder wäre es einem solchen Menschen womöglich schon unzumutbar, wenn man ihn oder sie nach der Uhrzeit, einem Glas Wasser, nach Feuer oder einem Euro fragte? Oder gibt es irgendeinen plausiblen Grund, warum man einem gestürzten Nachbarn aufhelfen sollte, während man andere auf dem Meer abwimmelt, womöglich beschießt oder ertrinken lässt, ohne mit der Wimper zu zucken? Machen da allen Ernstes Hautfarbe und Herkunft einen Unterschied? Wie eng muss dann die Definition des "Nächsten" sein, sofern man da überhaupt noch von Nächstenliebe sprechen kann?

Für mich hat ein Willkommen - in welchem Kontext auch immer - grundsätzlich einen sympathischeren Klang als das gleichgültige oder gar feindselige Prinzip der kalten Schulter, das noch dazu sogar als Zeichen von Souveränität, Stolz und Stärke aufgefasst werden soll.