Fundamentales

Neulich las und hörte ich von jemandem, der außergewöhnliche Todesanzeigen sammelt (Dr. Christian Sprang), die nicht nur jeweils etwas über die Verstorbenen und deren Angehörige aussagten, sondern auch einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Tod widerspiegelten. Da hieß es z.B. in einer Anzeige sinngemäß "Sein Leben galt der Kartoffel". Das hat in seiner Reduziertheit erstmal fast etwas Amüsantes und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Da hat sich ein Mensch ein Leben lang mit Leidenschaft so sehr mit der Kartoffel beschäftigt, dass sie es als prägender Dreh- und Angelpunkt seines Daseins sogar bis in seinen Nachruf schaffte. Da existiert ein Mensch im Grunde für einen Wimpernschlag der Geschichte und wofür nutzt er diese kurze Zeit? Dafür, alles nur Erdenkliche über die Kartoffel zu lernen, anzuwenden und weiter zu geben. Andererseits ist das auch nicht wirklich sehr viel profaner als ein halbes Leben lang an irgend einem Fließband oder Schreibtisch zu sitzen. Während andere nach dem Sinn fragen und wieder andere sich als Religionsstifter betätigen, Kriege anzetteln oder sonstwie den Weg in Geschichtsbücher, in Literatur und das kollektive Gedächtnis finden, gibt es immer auch Leute, die dafür sorgen (und sorgen müssen), dass es auf der Welt z.B. immer genügend Büroklammern oder Toilettenpapier gibt.

Manchmal haut mich die Diskrepanz, dieser krasse Kontrast zwischen dem Diesseitigen, dem Alltäglichen, dem Profanen mit seinen oft kleinkariert erscheinenden Regeln einerseits und den fundamentalen Fragen und Sehnsüchten nach Erfüllung und Sinn andererseits fast um und zerreißt mich innerlich beinahe.

Irgendwo verhungern vielleicht Kinder, bevor sie überhaupt richtig leben konnten, und anderswo streiten sich Leute um einen Parkplatz oder darüber, ob nun irgendwelche Steuern erhöht oder doch besser gesenkt oder abgeschafft werden sollten. Den einen ist es besonders wichtig, ihren Mitmenschen von jemandem zu erzählen, der am Kreuz gestorben und später wieder auferstanden ist und die anderen fragen sich bang, ob sie noch genug Käse im Kühlschrank haben.

Mich interessiert nicht nur, ob es ein Leben nach dem Tod, also ein Jenseits oder ein Paradies gibt, sondern auch, womit die Leute sich da beschäftigen. Gilt es dort, Regeln zu beachten und werden Verstöße geahndet? Wenn die Frage abwegig oder gar lächerlich ist, warum ist sie es dann hier, im Diesseits, keineswegs?

Es gibt eine Glaubensgemeinschaft, die sich offenkundig die Zeit zumindest nach dem Jüngsten Gericht so vorstellt. Es wird sogar empfohlen, hier und jetzt Ingenieurwesen zu studieren, um sich auch in der künftigen Welt, in der die Auserwählten ewig leben werden, nützlich machen zu können. Ich frage mich, werden dort beispielsweise auch Falschparker belangt? Gibt es dort Regelwerke und Bußgeldkataloge? Ich wüsste Gesetze, Regeln und Vorschriften gerne auf das Hier und Jetzt beschränkt, so dass man das alles irgendwann mit der Ansage "Macht Euren Scheiß künftig doch gefälligst alleine" getrost hinter sich lassen könnte. An einem Jenseits mit Steuererklärung, Pfandbons und Mülltrennung, mit Notaren, Stadtverwaltungen und Rechtsanwälten wäre ich eher weniger interessiert. Irgendwann muss es auch mal gut sein. Erst dann wäre der Tod eine wirkliche Erlösung und ein Gewinn. Das Licht am Ende des Tunnels, so eins, das uns vielleicht auch nach dem Tod erwartet, könnte auch bedeuten, dass wir hier wie dort bald von einem herannahenden Zug überrollt werden. Ich bin da skeptisch. Jedenfalls gibt es für mich - solange das nicht geklärt ist - keinen Grund, unbedacht eine Abkürzung nehmen zu wollen, um möglicherweise vorzeitig in diesen Tunnel zu gelangen. Wäre ja auch zu einfach.