Der König mit der verbeulten Blechkrone
Das Stolpern war im Grunde so etwas wie seine Hauptbeschäftigung, sein Leben ein einziger Hindernisparcour, das Straucheln und Scheitern sein Steckenpferd und gleichzeitig Markenzeichen. Wie oft schon hatte er sich wieder gefangen, wie oft aber hatte er auch die Balance verloren, war gestürzt, lang hingeschlagen und hatte Blessuren gesammelt, wie andere Auszeichnungen und Trophäen! Während andere erfolgreich Gold schürften, schürfte er sich bestenfalls die Haut auf. Sicher, er hatte sich immer wieder aufgerappelt, sich den Staub von den Kleidern geklopft und seine mittlerweile doch recht lädierte Second-Hand-Krone gerichtet, die längst ein Fall für den versierten Hobbygoldschmied eines Repaircafés gewesen wäre. "Unverdrossen" kann man nicht wirklich sagen, ihm wurde manches Mal schwindelig, er torkelte oft, mehr als dass er ging, er verlor kurzzeitig die Orientierung, schwankte . Nein, "ungebrochen" trifft es trotz allem eher, mit einem beachtlichen Maß an Sturheit und sinnentleerter, stoischer Beharrlichkeit.
Die
Krone der Königin dagegen war ebenso robust, wie wertvoll und
völlig unversehrt. Aber die Königin war tot. Da war ihm ein Stück
minderwertiges Metall auf dem Kopf bei
aller Mühsal doch deutlich lieber, auch wenn nicht wenige es als Schrott und
eines echten Monarchen nicht würdig erachteten.
Er reiste - wenn man sein Umherirren denn so nennen wollte - inkognito. Er war ein Herrscher ohne einen im Königreichsregister eingetragenen Herrschaftsbereich. Hätte er nicht irgendwann im Anamnesefragebogen seines Hausarztes als Beruf "König" angegeben, es wäre nie irgend jemandem aufgefallen. Kein Hermelinmantel oder Zepter, kein Thron, kein Schloss, kein Hofstaat, keine Eskorte, kein Volk, keine Erwähnung in Ahnentafeln oder der Regenbogenpresse. Ein räudiger, vagabundierender König, seinen Schrunden und Wunden nach zu urteilen, seiner Gangart nach möglicherweise blau, aber ganz gewiss nicht blaublütig. Er selbst fällte über niemanden Urteile, schon gar nicht solche zum Tode oder zu langen Kerkerstrafen. Denn ihm unterstand keinerlei Gerichtsbarkeit. So folgte er ungewollt der biblischen Mahnung "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet!". Und andere Leute mit einem Stein zu bewerfen - sei es nun der erste oder einer in einer Reihe von vielen - dazu sah er keinerlei Veranlassung.
Das einzige Richten, das er sich gestattete, war das seines Krönchens, und zwar nach jedem verdammten Sturz.
Zuletzt gesehen wurde er, als er eines Abends - der am Horizont versinkenden Sonne entgegen wankend - den Landkreis mit unbekanntem Ziel verließ. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört.