Das sympathisch-freundliche Lichtwesen

Gott, Glaube, Religion - Das klingt für mich alles irgendwie düster, mythisch, ernst, erhaben, ja unheimlich und bedrohlich. Schon das Wort "Gott" gefällt mir nicht, es hat keinen schönen Klang. Und das Wort "heilig" hat etwas Ehrfurcht Gebietendes und daher auch etwas Furcht Einflößendes. Ehrfurcht ist eben auch eine Furcht. Das Bild vom Jüngsten Gericht, vom Großen Richter, von der schrecklichen Endabrechnung hört sich auch nicht sehr erbaulich an, selbst und gerade nicht für die, die sich keiner Schuld bewusst sind. Und warum ein Buch, von dem es heißt, es enthalte eine "frohe Botschaft", in einen pechschwarzen Einband gekleidet sein muss, liegt auch nicht gerade auf der Hand. Alles in allem legt sich bei all dem eine bleierne Schwere auf meine Seele und ein Würgeband um meinen Hals. Das Mittelalter, "Der Name der Rose", finstere steinerne Kathedralen, Inquistion und Glaubenskriege, Kreuz- und Opfermythos, Sündenmakel, Selbsterniedrigung und Schuldgefühle kommen mir in den Sinn. Alles Dinge, die mir nicht gut tun, die niemandem gut tun. Frohe Botschaft? Na, ich weiß nicht ... Ist irgendwo in der Bibel überliefert, dass jemand mal gelacht hat? Wo bleiben Heiterkeit, Leichtigkeit, Humor, Lebensfreude, Spaß? Ich meine jetzt wahrlich keine alkoholgeschwängerten Ballermann-Exzesse, aber ganz bestimmt auch keine gregorianischen Gesänge oder vor frömmelnder Ergriffenheit triefende, in Jahrhunderten angestaubte Kirchenlieder.

Sollte irgend jemand von mir angesichts dieser Eindrücke allen Ernstes ein Gefühl befreiten Erlöstseins und verklärt jauchzender Dankbarkeit erwarten? Wer auch immer mich von dem Bösen erlösen kann und will, möge mich doch bitte erstmal vom Albdruck frömmelnder Strenge, von Finger zeigender Bigotterie und von der Drohkulisse ewiger Verdammnis befreien, denn die gehören zum Bösen dazu. Sie bedrücken und ängstigen mich, schüchtern mich ein. Das kann nichts Gutes sein und von keinem Guten kommen.

Wen Gott liebt, den züchtigt er? Dann bleibt nur zu hoffen, dass er es mit seiner Liebe nicht übertreibt. Der Herr heißt Herr, weil er herrscht. Und sein Herrschen setzt die Unterwürfigkeit seiner Untergebenen voraus. Herrisch zu sein und herrschsüchtig gehört nicht zu den angenehmsten Eigenschaften, sie wurzeln aber im selben Wort. - Manchmal wünsche ich mir ein etwas stärkeres Selbstwertgefühl. Der Glaube war immer eine schlechte Quelle dafür, weil er mich klein hielt, weil er geeignet war, mich selbst zum um Vergebung winselnden, elenden Sünder zu machen und dazu gemacht zu werden.

Wäre es denn gar so blasphemisch, in jenem höheren Wesen einfach einen guten Freund zu sehen, der sich um einen sorgt und es gut mit einem meint? Der einem auf die Schulter klopft und fragt "Na, wie isset?". Ist die Vorstellung von einem kumpelhaften Gott despektierlich und verwerflich? Ihm eines Tages persönlich zu begegnen, ist eine angenehme Vorstellung, unausweichlich einem unerbittlich strengen Zuchtmeister in die Arme zu laufen, nicht.

Nachdem meine Frau gestorben ist, lese ich gerade ein Buch über Nahtoderlebnisse. Viele Menschen, die klinisch tot gewesen waren und zurückgeholt werden konnten, berichteten von einem Lichtwesen, das sie freundlich empfangen habe. Es mag also sein, dass es ein Leben nach dem Tod wirklich gibt, vielleicht gar ein ewiges Leben, verbunden mit einem Rückblick auf das eigene irdische Leben und mit einem Gefühl des inneren Friedens. Das würde ich meiner Frau und dereinst mir sehr wünschen. Diese Schilderungen wecken in mir eine bei weitem größere Zuversicht als alle salbungsvollen Worte der Bibel und alle sie auslegenden Predigten es je vermocht hätten. Täuschen und enttäuschen können beide Quellen für eine solche Überzeugung.

Licht ist etwas Schönes und Wohltuendes. Wenn die Sonne scheint, geht einem das Herz auf. Lichtdurchflutete Räume werden deshalb ebenso als hell und freundlich beschrieben wie schöne Farben. Licht gibt Orientierung und Zuflucht in der Dunkelheit, und es spendet oft auch Wärme, sodass man seine Nähe sucht. Allein schon ein Kerzenlicht oder das Licht einer Öllampe kann etwas Beruhigendes, Tröstliches und Meditatives haben, wohingegen ein größeres Feuer zwar auch mehr Wärme gibt, aber auch etwas Zerstörerisches an sich hat und eine Gefahr, eine Bedrohung in sich birgt. Wenn aber schon ein einzelnes, winziges Licht eine so wohltuende Wirkung entfaltet, zumal in ansonsten dunkler und in einer ruhigen Umgebung, wie viel mehr von dieser Wirkung mag ein uns sanft umfassendes Licht haben, das uns dennoch nicht verbrennt, uns nicht blendet oder uns wehtut? - Das Wort "Lichtwesen" enthält hell klingende Vokale und weich anlautende Konsonanten, ganz anders als das Wort "Gott". Ich stelle mir das, was andere "Gott" nennen, viel lieber als Lichtwesen vor, ohne konkrete Form, ohne Körper, ohne Bart, ohne die Notwendigkeit eines Gewandes, nicht jung oder alt, nicht Mann oder Frau. Einfach nur ein sympathisch-freundliches Lichtwesen. Was daran kann falsch oder gar schlecht sein? Wer will es denn besser wissen? Ist es nicht abwegiger und geradezu spinnert, sich Gott als alten, weißhaarigen Mann mit Bart und wallen-dem Kaftan vorzustellen?

Verglichen mit jenem Lichtwesen scheint mir eben dieser vielzitierte "liebe Gott" nur ein schlecht getarnter Despot zu sein, dem nichts entgeht, ein verkappter Big Brother und himmlischer Spitzel, letzter Rettungsanker und Erfüllungsgehilfe für gescheiterte Pädagogen, die mit Verweis auf ihn ihren Zöglingen gerne ein schlechtes Gewissen zu machen versuchen. Wer will schließlich schon jemanden enttäuschen, der einerseits per definitionem gefälligtst als "lieb" zu gelten hat und andererseits seine besondere Liebe ausgerechnet durch Züchtigung unter Beweis stellt?