Berufswahl
Meine Zeit der Berufstätigkeit geht allmählich zuende. Gleichzeitig sehe ich hier und dort, dass junge Menschen vor der Frage der Berufswahl oder vor einer beruflichen Veränderung stehen. Außerdem bestimmen Themen wie Rentenpolitik, Bildungspolitik, Automatisierung von Arbeitsprozessen durch neue Technologien sowie der Fachkräftemangel aktuelle Diskussionen.
Zum Glück stellt sich weder mir selbst die Frage noch habe ich Kinder, um deren Zukunft sie und ich uns sorgen müssten.
Ehrlich gesagt, wäre ich heute in dieser Frage nicht wirklich klüger, als zu der Zeit, als sie für mich anstand. Und heute stünde ich, wäre ich noch einmal so jung, vor demselben Dilemma wie damals.
Nach welchem Kriterium soll man gehen? Nach der vermeintlichen Zukunftssicherheit eines Berufes? Danach, wofür man die Begabung und Begeisterung in sich spürt? Oder nach den Aufstiegsmöglichkeiten und dem Status, den eine Tätigkeit verspricht? Manche raten dazu, das Hobby zum Beruf zu machen und andere raten genau davon ab. Ist eine im Prinzip Erfüllung versprechende Tätigkeit noch dieselbe, wenn sie plötzlich zur Pflicht wird und sich konkret nach fremden Wünschen, Erfordernissen und Regeln richtet, und das über mehr als ein halbes Leben lang? Und ist das zukunftssicher, was man heute dafür hält?
Nach meinem Dafürhalten gibt es zumindest drei Gesichtspunkte für die Berufsentscheidung: Sicherheit, Berufung und Karriere (bzw. Status und Prestige).
Für meine eigene Entscheidung waren sowohl der Sicherheitsgedanke, als auch im weitesten Sinne die Tätigkeit meines Vaters und meines Großvaters Maß gebend. Danach habe ich 40 Jahre für denselben Arbeitgeber gearbeitet, insofern hat sich meine Wahl als richtig erwiesen. Aber niemand kann in die Zukunft schauen und tatsächlich voraussehen, wie die Dinge und man selbst sich entwickeln, auch nicht, ob und ggf. wann es ratsam ist, seine Entscheidung zu revidieren. Spaß und Freude an der Arbeit sind nicht bloß Gegenstand naiven Wunschdenkens. Jeder Arbeitgeber profitiert vom Antrieb, der Motivation und der Begeisterungsfähigkeit seiner Belegschaft, vor allem, wenn er diese nicht erst mühselig und womöglich kostspielig wecken und erhalten muss.
Viele Arbeitgeber verkennen das Problem der weit verbreiteten inneren Kündigung ihrer Beschäftigten und stehen ratlos vor den Wünschen und Vorstellungen von Berufsanfängern, die sie, die Arbeitgeber, nur als Ansprüche, und zwar als überzogene wahrnehmen.
Aber weiß jeder und jede am Anfang des Lebens immer so genau , was einem Spaß macht, was einen erfüllt? Erkennt man nicht bestimmte Neigungen und Talente erst im Laufe seines Lebens, noch dazu solche, aus denen sich nicht zwingend ein konkretes und zukunftsträchtiges, einträgliches Berufsbild ergibt?
Was bleibt z.B. einem kreativen, handwerklich begabten Menschen, der gerne mit Holz umgeht, wenn er womöglich ein Leben lang nur Einbauküchen und Fensterrahmen herstellt?
Ich kann kaum beurteilen, ob es vielleicht einen Beruf hätte geben können, der mir mehr Freude bereitet hätte und in dem ich mehr aufgegangen wäre, als der, den ich tatsächlich gewählt habe.
Im Gegenteil: Im Laufe der Zeit nehmen die Gründe zu, die es einem erschweren, seine Arbeit gerne zu verrichten. Und sind davon nicht alle Berufe betroffen?
Mehr Freiheit und mehr Grund zur Freude hätte ich mir schon gewünscht.
Am wenigsten kann ich dagegen anfangen mit dem schieren Leistungsprinzip, mit Karrierestreben und Statusdenken. Ich kenne fast keinen Ehrgeiz, in keinem Bereich meines Lebens. Ich muss nicht ständig irgendwohin und irgendwelchen Zielen nachjagen. Der Gedanke eines lebenslangen Persönlichkeitswachstums ist mir ebenso fremd und zuwider wie ein gewisses Bedürnis nach Ruhm, Macht und Einfluss, danach, besser sein zu wollen als andere und die Neigung, abfällig auf Menschen vermeintlich minderwertigerer Bildungsabschlüsse, Qualifikationen, gesellschaftlicher Stellung oder Berufszweige herabzuschauen. Menschen, die vor allem darauf abzielen, möglichst schnell die Aufstiegschancen zu sondieren, die Karriereleiter zu erklimmen und damit Geld und Einfluss zu erlangen, sind mir wesensfremd, suspekt und unsympathisch. Karrieristen wirken auf mich eher abweisend und arrogant als umgänglich, herzlich oder glücklich. Und Verfechter des Leistungsgedankens erscheinen mir oft genug als selbstgerecht, hart, kalt und emotionslos. Sie sind für mich im Wirtschaftsleben in etwa das, was Joachim Llambi für "Let's dance" ist. Sie bringen Leute bei einer Sache zum Weinen, die eigentlich Freude machen soll und kommen sich noch toll dabei vor. Auch eine Art, Motivation zu wecken.